Die nachfolgende Anekdote mag zwar so wie hier von Herrn Dipl-Ing. P. Specht beschrieben, ganz lustig sein, der wirtschaftliche Schaden war es nicht:
Der Sportplatz - Alien
Mit mehr oder wenigen offenen Mündern staunten alle Umstehenden. Der erste, der seine Stimme wieder fand, war der Vertreter der Betreibergesellschaft: „Kann man den wenigstens essen?“ war die Frage, die die Anspannung aller wieder etwas löste. Aber von vorn: Als Gutachter begleitete ich die Geschäftsführerin einer Garten- und Landschaftsbau – Firma zu einem Ortstermin. Die Geschichte, die sie mir am Telefon zuvor erzählt hatte, war so abenteuerlich, dass ich mich förmlich aufdrängte, sie als fachlicher Beistand zu begleiten. Ich ahnte, dass es sensationell werden würde.
Was war passiert? Im Rahmen eines PPP – Schulsanierungsprojektes (Public Privat Partnership), mit dem zwar einerseits Schulen trotz leerer öffentlicher Kassen der Kommunen endlich wieder in einen menschenwürdigen Zustand versetzt werden können, bei dem aber der bittere Nachgeschmack, der auf die dort noch Lernenden der jüngsten Generation, die dann mal die späteren Steuerbürger sein werden, abgewälzten Schulden bleibt und das ein ähnlich fragwürdiges Finanzierungsmodell für finanzklamme Kommunen darstellt, wie die inzwischen als fragwürdig geltenden Cross-Border-Leasing–Geschäfte aus den Neunzigern, hatte der Ga-La - Baubetrieb einen Schulsportplatz gebaut. Die Laufanlage und auch die Ballsportspielfläche wurden mit einem EPDM–Belag (Ethylen–Polymer–Dien-Monomer - ein synthetisch hergestellter Kautschuk der hier zu einem gummiähnlichen elastischen und regenwasserdurchlässiger aus Granulaten gefertigten Kunststoffbelag geformt wird) ausgestattet. Mit Schaudern denkt man automatisch an die blutigen Knie und zerschrammten Hände nach dem Sturz auf der Koksschlacke – oder Aschenbahn aus der eigenen Schulzeit zurück. Hier war es im Gegensatz dazu nahezu klinisch sauber und vor allem fiel man, wenn man fiel, weich. Solch ein Belag wird direkt auf eine ca. 4 cm starke Asphaltschicht gegossen und die kommt auf eine ordentlich verdichtete Schottertragschicht, darunter kommt dann zuerst allerdings das Kiesbett, in welchem auch die Drainage- und Entwässerungsleitungen verlegt werden. So gibt es selbst unmittelbar nach dem größten Regenguss ein schmuckes und gut bespiel- und belaufbares Areal und keine Schlammbahn. Ja – und so ein Traumsportplatz war hier gebaut worden und ein knappes Jahr spielten die Kids hier schon Volley- und Fußball oder was sonst noch so laut Lehrplan für das spätere Abi gebraucht wird. Vor einer Woche war aber Schluss damit, nicht weil der Sportlehrer in die enge Turnhalle wollte, sondern weil es auf der Spielfläche große Beulen gab. So große Beulen, dass es die Unfallverhütungsvorschriften nahe legten, die Schüler nicht mehr rumrennen zu lassen.
Der Sportlehrer gab dem Hausmeister bescheid, der, da er auch nicht wusste, was er mit den Hügeln anfangen sollte, dem Direktor, dieser wiederum war auch zur Erkenntnis gekommen, dass mit Harken oder Stampfen nichts zu machen war, gab dem Schulamt und dieses der Betreibergesellschaft (ja - so was gibt’s dann bei PPP) bescheid. Letzterer verlangte Schadensbeseitigung vom Generalunternehmer und der richtete dieses Verlangen an den Subunternehmer, in diesem Fall den Ga – La – Bau Betrieb, denn der hatte den Platz ja schließlich gebaut. Am „Sub“ blieb es dann auch gleich erst einmal hängen, denn ob die Pestbeulen mit dem Asphalt, dann könnte er sich an den Asphaltwerker halten oder aber dem EPDM – Belag zu tun hatte (dann wäre die Chemie – Bude dran), war ja noch nicht klar, so standen die Vertreter dieser Gewerke nicht also auch noch da. Zur Sicherheit war vom GU aber auch gleich noch ein renommiertes Baustofflabor zum Ortstermin gebeten worden, die Dame war mit Schippe und Eimerchen auf der Fläche erschienen.
Schließlich standen alle dann vor einer solchen Beule, die da die Umgebung um ca. 6 cm überragte und schauten sich mit Schulterzucken an. Es musste sein..., einer der vorsichtshalber gleich ebenfalls mit hinbeorderten Arbeiter nahm die Motorflex und trennte sauber ein Quadrat von ca. 60 cm Kantenlänge des hübschen Belages heraus.
Und dann nach ca. einer halbe Minute ehrfurchtsvollen Erstaunens aller mit offenen Mündern, wurde mir die nicht ernst gemeinte Frage gestellt, ob man denn nun den Pilz wenigstens essen könne. Auch auf die Gefahr hin, dass irgendwer der Verantwortlichen mir jetzt sofort meine Zulassung als PSV entzieht, ich wusste es nicht. Und ich gab das, was da zu sehen war, vorsichtshalber erst mal nicht zum Verzehr frei. Gelohnt hätte es sich aber sicher. Jung und knackig waren sie offensichtlich, die Pilze die da mitten auf dem Sportplatz im freigeflexten Areal aussahen, als wären sie dort gezüchtet worden und würden dort hingehören. Viel enger stehen die Fruchtkörper im Pferdemistbeet einer professionellen Champignonzucht auch nicht. Hier hatten sich aber Pilze auf der Schottertragschicht unter dem Asphalt und dem Chemiezeugs entwickelt.
Stadtchampignons waren es jedenfalls nicht, Agaricus bitorquis wird nämlich als einzigem aller gängigen Großpilze nachgesagt, Pflastersteine anheben und Asphalt aufbrechen zu können. Die Franzosen haben diesem Pilz daher den hübschen Namen „Psalliote de trottoirs“ gegeben.
Die alles entscheidende und an mich gerichtete Frage der Anwesenden war aber weniger die, mit welchem Taxa die Art da zu belegen sei, als die, wie die da hinkommen, wie sie wieder wegkommen und wer nun wegen mangelhafter Leistung für den Schaden aufzukommen habe.
Schließlich sei ich ja Gutachter, aus einem Architekturbüro und außerdem noch Pilzsachverständiger, wer, wenn nicht ich, sollte die Fragen beantworten können? Auch da musste ich mich aber zunächst und später dann auch endgültig in Mutmaßungen ergehen. Die oberen Schichten der Schottertragschicht waren dicht mit Myzelsträngen durchwachsen, die unteren Schichten waren eigentlich myzelfrei und in der Kiesschicht darunter gab es auch keine weißen Myzelfäden.
Pilzsporen können natürlich überall hin, denn klinisch rein und keimfrei geht’s auf keiner Baustelle zu und rumschwirren tun die Dinger ja wohl praktisch überall. Dass letztlich das eingebaute Material schon Sporen oder gar Myzel enthielt, hielt ich angesichts der nur in der oberen Tragschicht zu sehenden weißen Myzelstränge für eher unwahrscheinlich. Bliebe also die Möglichkeit, dass Sporen genau in dem Zeitraum auf die abgerüttelte und verdichtete Schottertragschicht vom Wind angeblasen wurden, als man auf den Asphalt wartete oder aber, andere Möglichkeit: die Sporen sind mit dem Regenwasser durch die oberen Schichten des EPDM – Belages und den Asphalt geschwemmt worden.
Schuld im Sinne einer Gewährleistungsverpflichtung wäre dann da sicher niemand der Anwesenden. Wenngleich es für den Betreiber das schlechteste Ergebnis wäre, denn er müsste dann selbst Geld in die Hand nehmen und den mangelfreien Zustand wieder herstellen, denn neben dem hier gezeigten und freigelegten Furunkel in der Spielplatzhaut gab es auf einer Fläche von ca. 200 m² noch 9 weitere große Beulen. Und wer wusste denn schon, was da nun noch kommt? Und spätestens im Frühjahr wollen und sollen die Schüler wieder aus der dunklen Turnhalle heraus.
Trotzdem bewegte mich natürlich die Frage, was denn das nun für ein Goliath unter den Pilzen sei. Und irgendwie musste es ja schließlich was eingewandert exotisches aus einem anderen Kulturkreis sein, denn solch terroristisch zerstörerisches, ja geradezu unterwanderndes Werk kann schließlich keiner der harmlosen einheimischen Pilze bewerkstelligen. Ich persönlich hatte einen Büscheligen Egerlingsschirmling in Verdacht, zumal Leucoagaricus americanus schon vom Namen her für mich auf solche subversiven und unterwandernden Invasions - Aktivitäten schließen ließ. Aber an den unreifen Fruchtkörpern waren natürlich weder Sporen zu finden, noch konnte ja auch keiner wissen, wie die Pilze aussehen würden, wenn sie nicht unter dem Asphalt gewachsen wären, es könnten ja schließlich irgendwelche bizarren Dunkelfruchtkörper sein, wie man sie in anderen Fällen aus Bergwerken und unterirdischen Stollen kennt, wo das Grubenholz von Blättlingen und Muschelkremplingen zerstört wird und wo deren Fruchtkörper völlig anders aussehen, als die, die wir normalerweise an der Oberfläche der Erde finden. Auch der Verdacht an einen extraterrestrischen Eindringling lag ziemlich nahe, denn immerhin war so was von unserem Planeten noch nirgendwo berichtet worden, wohl aber sind ja Berichte von Ufos und Kornkreisen, den Landeplätzen derselben, bekannt. Nur wusste man meist nie, wo die Astronauten abgeblieben waren, vielleicht verbarg sich hier unter dem Sportplatz die Lösung?
Ehe die Dame vom Baustofflabor also ihre Eimer und Probefläschchen mit den verschiedensten Gesteinen und den Pilzen aus dem geöffneten Geviert füllte, barg ich also einen handtellergroßen Fruchtkörperballen mit anhaftendem Gestein. Zu Hause wurde ein Eimer drüber gestülpt und dann sollte es wachsen. Meine Frau hatte zwar Bedenken wegen der in unserem Keller eingerichteten Brutstätte für die Aliens, aber ich setzte mich im Dienste der Wissenschaft und Erkenntnis durch und war bereit mich und mein Haus nötigenfalls zu opfern. Und es wuchs. Die Stiele wurden schnell länger und der Hut breitete sich aus - mir schwante schon am ersten Tag der Streckung was es wohl werden wollte, allein, glauben konnte ich es immer noch nicht.
Als die pechschwarzen Lamellen dann zu zerfließen begannen, hatte ich genug und legte das Büschel Schopftintlinge schließlich ungläubig auf den Dörrex. Der enttarnte Alien trocknete und bleibt so also der Nachwelt erhalten.
Glauben wird mir das eh keiner. Der fragile, zarte, äußerst zerbrechliche, beliebte und wohlschmeckende Speisepilz Coprinus comatus hatte es geschafft, allein durch sein Wachstum einen Druck zu entwickeln, der es vermochte, 4 cm starken Asphalt bei Temperaturen knapp über 0 oC zu verformen und die Elastizität des EPDM–Belages zu einer Verformung in gleichem Ausmaß auszureizen.
Etwas Derartiges ist nirgendwo beschrieben und wohl allen Mykologen einschließlich den Kennern der Gattung Coprinus bisher unbekannt. In keinem Bauschadensbericht habe ich auch nur annähernd Ähnliches bisher gelesen.
Für die ganz Nüchternen unter den Lesern bliebe noch mitzuteilen, dass die von mir gemessenen Sporen das ganze in der Literatur dargestellte Größenspektrum dieses Taxons abdeckten. Von den kleinen 8 x 5 µm messenden reifen Sporen bis zu den ganz großen von 17 x 8 µm waren alle in ausreichender Masse vertreten. In der Fachliteratur wird nicht zuletzt wegen der großen Streubreite bei der Sporengröße darauf aufmerksam gemacht, dass sich hinter Coprinus comatus eine Sammelart verbergen könnte und möglicherweise andere Arten davon abzutrennen sind.
Die auf dem Sportplatz weniger an taxonomischen Feinheiten interessierten Vertreter von PPP-Betreibergesellschaft, Schule, Ämtern und Baubetrieben einigten sich zunächst darauf, auf die von mir versprochene Vergänglichkeit der Fruchtkörper zu vertrauen, um dann mit Rüttelplatte und roher Gewalt in Form einer Walze zunächst erst einmal wieder eine glatte Fläche in den nach DIN zulässigen Toleranzen der Stichmaßabweichungen von der Ebenheit herzustellen.
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